Schweizerdeutsch
Wir geben in knapper Form Wissenswertes zum Schweizerdeutschen wieder. Die Antworten auf die siebzehn Fragen können in Auswahl oder am Stück gelesen werden. Angaben nach dem Prinzip F1, F5 … verweisen auf weiterführende Informationen bei den entsprechenden Fragen.
Schweizerdeutsch ist eine Sammelbezeichnung für die in der deutschsprachigen Schweiz gesprochenen Dialekte. Die Dialekte der Deutschschweiz gehören – mit Ausnahme des bündnerischen Samnauns – zur Dialektgruppe des Alemannischen (F2). Alemannische Dialekte werden auch im angrenzenden deutschsprachigen Gebiet gesprochen, so also im Elsass, in Südbaden, nördlich des Bodensees, in Liechtenstein, im Vorarlberg und in einigen Ortschaften in Nordwestitalien (F4). Es existiert dabei kein einziges Dialektmerkmal, das zur Abgrenzung zwischen schweizerischen und nicht schweizerischen Dialekten herangezogen werden kann. Die Abgrenzung des Schweizerdeutschen erfolgt einzig durch die politische Grenze und den in der Schweiz typischen Gebrauch des Dialekts in fast allen mündlichen Situationen, während das Hochdeutsche / die deutsche Standardsprache hauptsächlich geschrieben wird (sogenannte Diglossie, F10 und F11). Im bündnerischen Samnaun spricht man als einzigem deutschsprachigen Ort der Schweiz bairisch. Die Ortschaft wechselte erst im 19. Jahrhundert vom Rätoromanischen zum Bairischen, aufgrund bestehender Handelsbeziehungen ins Tirol und wohl auch aufgrund der Einstellung von Geistlichen und Lehrern aus dem Tirol, die in Samnaun wirkten.
Das Alemannische (im engeren Sinne) lässt sich in Nieder-, Mittel-, Hoch- und Höchstalemannisch unterteilen, wobei die Bezeichnungen auf die geografische Lage – vom nördlich tiefer- zum südlich höhergelegenen Gebiet – Bezug nehmen. Diese Unterteilung gliedert auch die alemannischen Dialekte in der Schweiz: Die Mundart der Stadt Basel wird zum Niederalemannischen gezählt. Typisch ist, dass altes anlautendes k nicht zu kch resp. ch verschoben wurde, es heisst dort Kind und Kueche, während es im hoch- und höchstalemannischen Gebiet Chind und Chueche heisst. Mittelalemannische Einflüsse findet man in der äussersten Nordostschweiz. Die Mundarten des Juras und Mittellandes zählen zum Hochalemannischen, die Mundarten des Alpenraums zum Höchstalemannischen. Das Höchstalemannische hat im Gegensatz zum Hochalemannischen in Wörtern wie schneie, boue und nöi die ursprüngliche Lautung der Vokale bewahrt, es heisst in den alpinen Mundarten schniie, buue und nüü(w) / nii(w). Dieses Merkmal wird gemeinhin zur Unterscheidung der beiden Dialektuntergruppen beigezogen. Es steht beispielhaft für die allgemeine Beobachtung, dass im Höchstalemannischen zahlreiche Relikte (ältere Lautungen, älterer Formenbestand, ältere Wörter) zu finden sind, was mit der Abgeschiedenheit respektive schwereren Zugänglichkeit der Gebiete für sprachliche Neuerungen erklärt wird. Dies geht einher mit der Tatsache, dass das Höchstalemannische überall an der Sprachgrenze liegt. Die Vierteilung des Alemannischen ist eine Vereinfachung der Sprachwissenschaft. Natürlich lassen sich innerhalb dieser Untergruppen, aber auch übergreifend weitere Unterschiede feststellen (F5). Einen Einblick in die komplexe Gliederung des schweizerdeutschen Sprachgebiets gibt der «Sprachatlas der deutschen Schweiz», der auf über 1500 Sprachkarten Unterschiede aufzeigt, die teilweise grössere Gebiete, teilweise aber auch kleine Räume umfassen. Eine Auswahl der Karten finden sich auch im «Kleinen Sprachatlas der deutschen Schweiz», diese sind online einsehbar.
Im Hochmittelalter zog ein Teil der im Deutschwallis ansässigen Bewohner in verschiedene Bergtäler weiter. Diese Siedler werden als Walser bezeichnet, ihr alemannischer Dialekt als Walserdeutsch. Eine erste Wanderbewegung im 13. Jahrhundert führte vor allem Richtung Süden, ins Aostatal und in verschiedene Täler des Piemonts. Von den dort gegründeten Südwalserkolonien bewahrten die heute zu Italien gehörenden Siedlungen Gressoney, Issime, Alagna, Macugnaga, Rima, Rimella, Saley und Pomatt bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts ihre Walserdialekte (F4). Aktuell wird hauptsächlich noch in Gressoney, Issime, Rimella und Pomatt Walserdeutsch gesprochen, Sprachwechsel zum umgebenden Italienischen und Abwanderung führten in den anderen Siedlungen zum Verlust des Walserdeutschen. Vom Pomatt aus wurde Bosco Gurin, der einzige deutschsprachige Ort im Tessin, gegründet. Die Einweihung der Kirche datiert auf das Jahr 1253. Von den heute rund 50 Einwohnern sprechen etwa noch zwei Drittel Gurinerdeutsch. Eine zweite Wanderbewegung führte die Walser nach Osten bis ins Tirol. Im heutigen Kanton Graubünden wurden mehrere Walsersiedlungen gegründet, beispielsweise Rheinwald, Avers, Obersaxen, Vals, Safien, Arosa, Langwies, St. Antönien, Klosters, Davos. Der Dialekt dieser Walsersiedlungen unterscheidet sich deutlich vom Schweizerdeutschen der Umgebung.
Das Phonogrammarchiv der Universität Zürich ist das älteste Tonarchiv der Schweiz. Seine Aufgaben umfassen das Sammeln, Dokumentieren, Auswerten und Publizieren von Tonaufnahmen in den Dialekten aller vier Landessprachen. Ein Teil der auf unserer Seite aufgeschalteten Hörproben stammt aus den Beständen des Archivs. Die Hörproben vermitteln einen Eindruck von den unterschiedlichen Ausprägungen des Alemannischen (F2), sei es das Niederalemannische im Elsass oder in Basel-Stadt, das Hochalemannische von Münchenbuchsee oder Liechtensteins oder sei es das Höchstalemannische von Avers oder des Aostatals.
Das ist eine Frage, auf die es keine abschliessende Antwort gibt. Man spricht von verschiedenen Dialekten, wenn sich zwei Sprachformen in geringem Masse voneinander unterscheiden. Doch wie viele Unterschiede braucht es, dass ein Dialekt separat gezählt würde? Und gibt es wichtigere Unterschiede und weniger wichtige? Die Antworten fallen verschieden aus, sowohl bei Dialektologen als auch bei Laien. Eine Kategorisierung und Zählung lässt sich also nicht ohne Willkür vornehmen. Die Dialektologen haben festgelegt, dass südlich der schneie / schniie-Linie das Höchstalemannische beginnt und sich das Niederalemannische dadurch vom Hochalemannischen unterscheidet, dass altes anlautendes k nicht zu kch resp. ch verschoben wurde (siehe niederalemannisch Kind gegenüber hochalemannisch Chind, F2). Im Alltag spricht man oft von Kantonsmundarten, von dem Berndeutschen oder dem Zürichdeutschen, wobei diese Bezeichnungen mindestens für die Bewohner der entsprechenden Gebiete viel zu pauschalisierend ausfallen. Alle Kategorisierungen blenden aus, dass es keine abrupten Grenzen gibt zwischen Dialekten, dass viel mehr mit zunehmender räumlicher Distanz auch die sprachlichen Unterschiede kontinuierlich grösser werden: So versteht ein Stadtbasler den Dialekt der Nachbargemeinde Allschwil sehr gut, während für ihn der Dialekt von Zermatt schon schwieriger zu verstehen ist. Der «Sprachatlas der deutschen Schweiz», der auf mehr als 1500 Sprachkarten das Schweizerdeutsche einschliesslich der Walserdialekte Norditaliens dokumentiert, illustriert eindrücklich dieses Dialektkontinuum. Blättert man in diesem monumentalen Werk, wird schnell klar, wie vielfältig und verschieden das Schweizerdeutsche ist – und wie schwierig es ist, Dialekte abzugrenzen und zu zählen …
Um diese Frage zu beantworten, muss man den Unterschied zwischen einem Dialekt und einer Sprache bestimmen. Das ist gar nicht so einfach, verschiedene Vorstellungen spielen dabei eine Rolle. Für die Unterscheidung im Kontext der europäischen Sprachgemeinschaften ist unter einer Sprache meist eine Standardsprache zu verstehen. Die Standardsprache zeichnet sich dadurch aus, dass sie mit den Dialekten, die sie überdacht, verwandt ist und schriftlich für Verwaltung und Sachliteratur gebraucht wird. Wie die Bezeichnung «Standardsprache» schon zeigt, ist diese Sprache standardisiert, das heisst, es existieren offizielle, normierte orthografische und grammatische Regeln. In diesem Sinne ist das Schweizerdeutsche keine Sprache, im Gegensatz zum Hochdeutschen, das in der Fachsprache Standarddeutsch genannt wird (F7, F18). Allerdings lässt sich feststellen, dass das Schweizerdeutsche im Vergleich zu anderen Dialekten vielfältige Funktionen übernimmt und in seiner Anwendbarkeit nicht auf bestimmte Situationen beschränkt ist. Im Gegensatz zu Deutschland kann beispielsweise ein Behördengang ganz selbstverständlich auf Mundart erledigt werden, auch Quizshows im Fernsehen sind selbstverständlich auf Schweizerdeutsch. In jüngerer Zeit ist das Schweizerdeutsche zudem im Bereich der Schriftlichkeit auf dem Vormarsch, allerdings meist beschränkt auf die private schriftliche Kommunikation in den neuen Medien. Es wäre bei einem entsprechenden politischen Willen möglich, das Schweizerdeutsche zu einer Standardsprache auszubauen, das heisst, den offiziellen Schriftverkehr auf Schweizerdeutsch zu führen, und zwar gemäss normierter orthografischer und grammatischer Regeln, die dann auch in der Schule gelehrt würden. Solche Bestrebungen lassen sich aber nicht wahrnehmen. (F10, F11)
Die Bezeichnung «Standardsprache» verweist darauf, dass eine Sprachform offiziell normiert und reglementiert ist. Am Anfang der deutschen Standardsprache / des Hochdeutschen stehen die deutschen Dialekte. Dialekte sind von ihrem Wesen her mündliche Sprachformen. Ab dem 8. Jahrhundert setzte im Zuge der Christianisierung allmählich eine Verschriftlichung der deutschen Dialekte ein. Einzelne Wörter als Übersetzungshilfen in lateinischen Texten (sogenannte Glossen) oder Wörterbücher bildeten dabei den Anfang, es folgten Übersetzungen des Unservaters oder des Glaubensbekenntnisses. Dies in einem Umfeld, wo fast ausschliesslich Kleriker schrieben, und zwar auf Latein. Das Deutsche nahm in der geschriebenen Form immer mehr Platz ein, in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts entstanden Heldenromane und Liebesgedichte, und Gebrauchstexte wie Urkunden wurden nach und nach auf Deutsch verfasst. Während die frühesten schriftlichen Belege der Mönche sehr regional geprägt waren, nahm die sprachliche Vereinheitlichung im Laufe der Zeit immer mehr zu. In einem lang andauernden Ausgleichsprozess entstand aus den verschiedenen frühneuzeitlichen Schreibsprachen des mittleren und südlichen deutschen Sprachraums die Standardsprache. Dabei wurden allmählich überregionale Varianten ausgewählt und zunehmend lokale Besonderheiten vermieden. Einen Einfluss auf die entstehende Standardsprache hatte auch Martin Luthers deutsche Übersetzung der Bibel. Um 1700 war das Standarddeutsche / Hochdeutsche formal bereits recht einheitlich. Diese Kunstsprache festigte sich im Folgenden weiter und drang ab dem 18. Jahrhundert gar in den Bereich der Mündlichkeit ein (F10). Auch die deutschsprachige Schweiz hatte Anteil an der Herausbildung der deutschen Standardsprache / des Hochdeutschen. Nach der Aufgabe der eidgenössischen Landsprach (F9) im 17. Jahrhundert und der Übernahme der sich in Deutschland verfestigenden Schriftsprache begannen sich Schweizer Schriftsteller und Denker mit Letzterer aktiv auseinanderzusetzen. Ab 1740 verteidigten Johann Jacob Bodmer und Johann Jacob Breitinger im «Zürcher Literaturstreit» die Freiheit des schweizerischen Wortgebrauchs gegenüber dem Sachsen Johann Christoph Gottsched. Und im Rechtschreibe-Duden finden schweizerische Wörter (Helvetismen) seit 1880 Aufnahme.
Das auch in der Schweiz gesprochene Alemannisch hat sich ab der Völkerwanderung entwickelt. Ab wann sich aber die typischen Eigenschaften des Schweizerdeutschen herausbildeten, kann nur indirekt beantwortet werden, denn mittelalterliche und frühneuzeitliche Texte sind meist in mehr oder weniger standardisierten Formen verfasst (zur «Eidgenössischen Landsprach» siehe F9). Hinweise darauf, dass unsere schweizerdeutschen Dialekte viele ihre Eigenschaften im Lauf des Hoch- und Spätmittelalters entwickelt haben, geben kleine «Fehler», die sich in alte Handschriften einschleichen. So rutschte Basler Schreibern des 13. Jahrhunderts selten einmal ein o in ihren Text hinein (etwa geton «getan»), obwohl sie im Allgemeinen bemüht waren, a zu schreiben – offensichtlich war in dieser Region ein ursprüngliches langes a schon damals zu einem o geworden (heutiges Baseldeutsch: doo). Oder Ostschweizer Kanzlisten schrieben um 1400 nicht selten Urtal statt Urteil, weil in ihrer Mundart altes ei schon damals zu einem langen a geworden war. Manchmal schossen Schreiber mit ihren Bemühungen, nicht mundartlich zu schreiben, auch übers Ziel hinaus. Eine solche sogenannte Hyperkorrektur liegt beispielsweise in insen statt isen, funst statt fust und sünfzgen statt süfzgen vor, da die Gleichung «gesprochenes Ziis, Chuuscht, füüf = geschriebenes Zins, Kunst, fünf» fälschlicherweise auch auf mundartliches Yse «Eisen», Fuuscht «Faust» und süüfzge «seufzen» angewandt wurde. Aus solchen Fällen lässt sich schliessen, dass dieser heute unter dem Namen Staubsches Gesetz bekannte Schwund von Nasal n vor ch, f, s, sch schon im frühen 14. Jahrhundert vorkam. Ein anderes Beispiel, das uns schon in spätmittelalterlicher Zeit begegnet, ist fehlerhafte ai-Schreibung in der Ostschweiz, wo die Schreiber im Bestreben, ihr aus althochdeutsch ei entstandenes mundartliches aa oder ää zu vermeiden, selbst dort manchmal ai schrieben, wo dieses gar nicht berechtigt ist. So finden wir etwa ain statt an, Tail statt Tal und sailig statt sälig «seelig», weil die Verfasser die Gleichung «gesprochen Staa, Saal oder Stää, Sääl = geschrieben Stain, Sail» fälschlicherweise auch auf an, Tal und sälig übertrugen. Der fürs Schweizerdeutsche im Gegensatz zum Standarddeutschen typische Schwund der einfachen Vergangenheitsform (Präteritum) geschah hingegen erst in nachmittelalterlicher Zeit, man hat Gründe, ihn auf das 16. Jahrhundert zu datieren. Einen weiteren Hinweis darauf, wie früh unsere Dialekte schon den heutigen glichen, gibt die Sprache der Walser, die ab dem 13. Jahrhundert das Wallis verliessen (F4). Diese Auswanderer nahmen damals das Walliserdeutsch in ihre neuen Siedlungsgebiete im Süden und Osten mit, und die Mundart der Walser gleicht bis heute derjenigen des Oberwallis. Mit anderen Worten: Typische Merkmale des Walliserdeutsch wie das in manchen Wörtern für s auftretende sch (etwa schii für «sie») waren schon im 13. Jahrhundert ausgebildet. Umfassend nachvollziehen, wie das ältere Schweizerdeutsch aussah, kann man erst ab dem 18. Jahrhundert: In dieser Zeit wurden erste Texte ganz bewusst in Deutschschweizer Mundart verfasst. Aber noch im 19. Jahrhundert blieb die Anzahl auf Dialekt geschriebener Publikationen überschaubar. Ein breites mundartliches Schaffen setzte erst um 1900 ein; ihr rasches Aufblühen stand ganz im Zeichen des Heimatschutzes und war eine Reaktion auf Industrialisierung und Modernisierung.
Der erste «Schweizer», der nicht Latein, sondern Deutsch schrieb, war der Sankt Galler Mönch Notker der Deutsche oder Notker Labeo (um 950 – 1022). Er beobachtete sein Altalemannisch so genau, dass er selbst kleinste lautliche Unterschiede wiedergab (siehe Wikipedia). Die höfische Schriftsprache der «Schweizer» Minnesänger aus dem 13. Jahrhundert dagegen wies kaum mundartliche Elemente auf. Nach 1300 ging diese einheitliche Schreibweise verloren, bis sich im Laufe des 15. Jahrhunderts die überregionale «eidgenössische Landsprach» entwickelte. Diese Landsprach war alemannisch basiert, man schrieb also Ys, Hus, Hüser und nicht wie in Österreich oder Sachsen Ais / Eis, Haus, Häuser. Als «Nationalsprache» musste sie zudem einheitlich sein: Als neutrale Grundform wurden die konservativeren Lautungen gewählt, man schrieb also überall Jar, schön, Teil und Houpt, obgleich in manchen Regionen Joor, scheen, Taal / Teel oder Hopt gesprochen wurde. Ebenso schrieb man Kind und machen, auch wenn man Chind und mache sagte. Die Pluralendungen des Verbs wurden auf -end vereinheitlicht, man schrieb also wir machend, ir machend, sy machend, auch wenn diese drei Formen bei den Bernern mache, mached, mache und bei den Zürchern mached, mached, mached lauteten. Die Landsprach beherrschten hauptsächlich Professionelle wie die Kanzleischreiber und Chronisten. In der Schriftsprache der weniger geübten Schreiber machten sich hingegen auch mundartliche Eigenheiten geltend. Die Blütezeit der eidgenössischen Landsprach war das 16. Jahrhundert. Aber schon ab 1550 wurde sie Schritt für Schritt zugunsten der entstehenden gemeindeutschen Standardsprache aufgegeben. Treibende Kraft hierfür waren nicht zuletzt die Buchdrucker, die den grossen deutschen Markt erschliessen wollten. Ab dem 18. Jahrhundert beteiligten sich die Schweizer aktiv an der Gestaltung der deutschen Standardsprache / des Hochdeutschen (F7).
Das Hochdeutsche ist in einem lang andauernden Ausgleichsprozess aus den deutschen Dialekten des mittleren und südlichen Sprachgebiets entstanden (F7). Es handelt sich eigentlich um eine schriftliche Form des Deutschen, während die Dialekte die mündliche Form des Deutschen repräsentieren. Demzufolge entspricht die Aufgabenteilung von Dialekt und Hochdeutsch in der Schweiz – Dialekt sprechen, Hochdeutsch schreiben – der ursprünglichen Funktion der Sprachformen (sogenannte Diglossie, F11). In Deutschland hat sich ab dem 18. Jahrhundert das Hochdeutsche auch im mündlichen Bereich zu etablieren begonnen. Das akademische Bürgertum machte es sich zu eigen, die Höfe folgten zögerlich. Mit der Übernahme des Hochdeutschen durch die Oberschicht ging eine Abwertung des Dialekts einher als minderwertige oder bäurische Sprachform. Diese Abwertung erfuhr der Dialekt in der Deutschschweiz nicht, im Gegenteil: Im 19. Jahrhundert, als die Schweiz als Nation gebildet wurde, nahm man den Dialekt als Ausdruck von Gleichheit und Republikanismus wahr und verwendete ihn zur Abgrenzung gegenüber Deutschland. Ab etwa 1900 wurde der Dialekt zudem richtiggehend propagiert und es wurde «sprachlicher Heimatschutz» betrieben. Ein weiterer Schritt in der schweizerischen Abgrenzung gegenüber Deutschland wäre, einen schweizerdeutschen Dialekt oder ein zu konstruierendes Gemeinschweizerdeutsch zu schreiben. Diese Überlegungen sind vor allem im Umfeld der «geistigen Landesverteidigung» vor und während des Zweiten Weltkriegs diskutiert worden. Sie sind heutzutage nicht mehr aktuell. Zu gross sind die ökonomischen und kommunikativen Vorteile, zu einer grösseren Sprachgemeinschaft, die das Hochdeutsche bildet, zu gehören. Und zu gross ist auch die historisch gewachsene Verbundenheit mit dem Hochdeutschen, das von alters her zu den sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten in der Deutschschweiz gehört (F6).
Die Verwendung von Schweizerdeutsch und Hochdeutsch ist in der Schweiz ursprünglich klar auf zwei kommunikative Bereiche verteilt (F10): Schweizerdeutsch wird gesprochen, Hochdeutsch wird geschrieben (deshalb auch die Bezeichnung «Schriftdeutsch», F18). Diese besondere Form der Zweisprachigkeit wird als Diglossie bezeichnet, genauer als mediale Diglossie. Medial ist in dem Sinne gemeint, dass die eine Verwendungsweise mittels des Mediums (= Übermittlungsart) Schrift, die andere mittels des Mediums «Gesprochensprache» geschieht.
Diese ursprüngliche Verteilung ist seit Längerem nicht mehr ganz so streng. Hochdeutsch hat mündlich seinen Platz in der Schule, oft in der Kirche oder in bestimmten massenmedialen Sendeformaten. Es wird für Vorträge und häufig für Reden gewählt, teilweise in der parlamentarischen Arbeit, wobei die Reglementierung von Kanton zu Kanton verschieden ist. Auch in alltäglichen Begegnungen mit Leuten, die nicht muttersprachlich Schweizerdeutsch sprechen, wird Hochdeutsch verwendet. Im Gegenzug wird Schweizerdeutsch ebenfalls geschrieben: In der Literatur hat der Dialekt eine lange, im späten 18. Jahrhundert einsetzende Tradition (siehe Mundartliteratur). Immer wichtiger wird die Dialektschreibung heutzutage in der informellen Schriftlichkeit kurzer Texte wie Kartengrüsse, persönliche Briefe, Chat- und Kurzmittelungs-Kommunikation, E-Mails oder Einträge auf Internetplattformen (F12). Für den Deutschschweizer ist die Verwendung von Dialekt und Hochdeutsch ein Entweder-Oder. Dies ist bei Sprechern im übrigen deutschsprachigen Gebiet (mit Ausnahme Norddeutschlands) nicht mehr so. Dialekt und Hochdeutsch sind dort Enden einer Skala, es gibt einen fliessenden Übergang, ein sogenanntes Kontinuum. Je nach Sprechsituation wird dialektal(er) oder hochsprachlich(er) gesprochen. Allerdings ist die Dialektkompetenz in Deutschland regional sehr unterschiedlich, vor allem im Süden ist sie noch relativ hoch. In anderen Gebieten ist die Dialektkompetenz gering, dort tritt an Stelle eines Dialekts ein sogenannter Regiolekt, eine regional gefärbte Umgangssprache. Die Sprecher drücken sich entsprechend auf einer Skala zwischen Umgangssprache und Hochsprache aus.
Mit dem Aufkommen der neuen Medien wird vermehrt Schweizerdeutsch geschrieben: alltägliche, informelle Nachrichten, beispielsweise per WhatsApp oder E-Mail, werden vor allem von jungen Leuten auf Dialekt verfasst. Eine offizielle normierte Schreibung des Schweizerdeutschen gibt es nicht, die Schreiber orientieren sich automatisch an zwei Prinzipien: einer hochdeutschnahen oder einer lautnahen Schreibung. Dank des gewohnten Schriftbildes bleibt beim hochdeutschnahen Prinzip das Schreiben und Lesen relativ einfach, dafür lässt sich die Lautung eines Dialekts beim lautnahen Prinzip originalgetreuer wiedergeben: Man vergleiche die hochdeutschnahe Verschriftlichung von wieder mit der lautgetreuen widr. «Laien»-Schreiber halten sich bald an das eine, bald an das andere Prinzip, mischen die Prinzipien manchmal gar innerhalb eines Wortes. Wichtig scheint bloss das oberste Prinzip überhaupt: Das Geschriebene muss lesbar und verständlich sein. Es existiert zwar keine offizielle, normierte Schreibung des Schweizerdeutschen, trotzdem gibt es Anleitungen, die Regeln formulieren. Zwei Anleitungen werden immer wieder zitiert und haben eine gewisse Bekanntheit erlangt, nicht zuletzt bei Mundartautoren (siehe Mundartliteratur): Die sogenannte Dieth-Schreibung («Schwyzertütschi Dialäktschrift») von Eugen Dieth orientiert sich am Prinzip «Schreib so, wie du sprichst», also (fast) ohne Rücksicht auf die Schriftbilder des Hochdeutschen (weitere Infos unter Wikipedia (deutsch) und Wikipedia (alemannisch)). Die «Bärndütschi Schrybwys» von Werner Marti orientiert sich dagegen eher am hochdeutschen Schriftbild und ist vor allem bei Berner Autoren verbreitet (siehe Zusammenfassung des Mundartforums, Seite 17–20).
Der Begriff «Grammatik» hat verschiedene Bedeutungen und wird demnach auch ganz unterschiedlich verwendet. Eine natürliche Sprache funktioniert nach gewissen Regeln, die ein Sprecher kennt und anwendet, um korrekte Wörter und Sätze zu bilden oder um Urteile über die Korrektheit von Äusserungen zu fällen. Solche Regeln bezeichnen zusammengefasst die Grammatik einer Sprache. In diesem Sinn hat das Schweizerdeutsche eine Grammatik; der Schweizerdeutsch-Sprecher kann beurteilen, dass der Satz I ha Fääler mache falsch ist, denn in der Vergangenheitsform muss das Partizip gmacht stehen und nicht der Infinitiv mache. Diese Regeln werden teilweise in Lehrwerke aufgeschrieben und nach diesen wird unterrichtet. Auch ein solches Lehrwerk bezeichnet man als Grammatik. Zu einzelnen schweizerdeutschen Dialekten existiert eine solche Grammatik, so zum Zürichdeutschen, Luzerndeutschen, Baseldeutsch und Berndeutschen. Diese Grammatiken verstehen sich einerseits als deskriptive Darstellungen, das heisst, sie wollen die Mundarten beschreiben, andererseits machen sie auch einen normativen Anspruch geltend, sie wollen also auch zu einem korrekten Gebrauch anleiten. So trägt Albert Webers «Zürichdeutsche Grammatik» den Untertitel «Wegweiser zur guten Mundart». Allzu gross ist der normative Einfluss dieser Grammatiken jedoch nicht, wird doch weder Zürichdeutsch noch Baseldeutsch nach diesen Grammatiken unterrichtet (F6).
Mehrfach wurde dem Schweizerdeutschen schon der Untergang prognostiziert – und doch ist es heute sehr lebendig und breitet sich dank der neuen Medien auch im Bereich der Schriftlichkeit aus (F11). So schnell wird sich an der Lebendigkeit nichts ändern, denn der Dialekt hat viel mit der Deutschschweizer Identität und dem eigenen Selbstverständnis zu tun. Fakt ist aber, dass sich Sprache laufend verändert. Was Sprachwandel fördert, ist unter anderem die Mobilität der Menschen. Diese ist heutzutage viel grösser als vor siebzig, achtzig Jahren, als beispielsweise der «Sprachatlas der deutschen Schweiz» noch relativ einheitliche Ortsdialekte dokumentierte. Arbeitet ein Glarner in Zürich, werden seine ortstypischen Wörter unter Umständen nicht verstanden, er muss sich erklären, ein anderes, verbreiteteres Wort wählen. Auch seine heimatliche Aussprache fällt auf, er wird sich seinem Arbeitsumfeld anpassen. Dies wird wohl noch eher der Fall sein, wenn er wegen seiner Aussprache verspottet wird und / oder sie selbst als minderwertig auffasst (F16). Dieses Beispiel illustriert nicht nur Gründe für Sprachwandel, sondern auch, dass sich die Dialekte vor allem im Bereich des Wortschatzes und der Lautung angleichen, und zwar in Richtung grossräumiger geltender Dialekte (F15). Diese grossräumig geltenden Dialekte sind an den Dialekten der grösseren Städte orientiert. Eine darüberhinausgehende Entwicklung hin zu einem Einheitsschweizerdeutschen kann nicht festgestellt werden. Und trotz der Ausgleichsprozesse, die im Gang sind, heisst dies nicht automatisch, dass lokale respektive kleinregionale Besonderheiten komplett verschwinden: Sie sind Teil der Identität, machen den Glarner zum Glarner oder gar den Elmer zum Elmer – und nicht bloss zum Schweizer.
Eine Grunderkenntnis aus der Forschung ist, dass sich Mundarten heutzutage in Richtung grossräumig geltende Dialekte wandeln (F14). Zahlreiche Einzelstudien zeigen ein sehr komplexes Bild von Dialektwandel: Lautung, Grammatik und Wortschatz verändern sich verschieden, Wandel läuft je nach Ortschaft oder Region unterschiedlich ab, von einzelnen Sprechern nicht zu reden. Sprachwandel fällt einem vor allem bezüglich Wortschatz auf, da hört man scheinbar plötzlich überall Wörter wie Pfärd und Influencer. Der Wortschatz ist tatsächlich der Bereich der Sprache, der am meisten Veränderung erfährt. Gesellschaftlicher und technischer Wandel fordern neue Bezeichnungen respektive lassen ältere Wörter als überflüssig erscheinen, man denke beispielsweise an die markanten Veränderungen im IT- und im bäuerlichen Bereich. Allerdings gibt es auch Wortschatzwandel, der keine logische Folge von äusseren Veränderungen ist. Wieso sprechen die Jungen im Alltag vom Früestück, gehen die Träppe hoch oder müssen viel arbeite? Oder wieso heisst der Papiersack praktisch nirgends mehr Seckel oder Chuchere, sondern einfach nur noch Sack? Eine Erklärung für diese Art von Wandel liefert sicher die heutige Mobilität, die dazu führt, dass man sich «allgemeinverständlicher» ausdrücken muss. «Allgemeinverständlicher» kann man sich ausdrücken, indem man sich schweizerdeutscher Ausdrücke bedient, die bereits eine grössere Verbreitung aufweisen. So sagt man heute praktisch flächendeckend im Westen Gluxer / Gluxi und im Osten Hitzger / Hitzgi für den Schluckauf. Das Wort fad 'zu wenig gesalzen' hat sich gar als gesamtschweizerdeutscher Ausdruck etabliert, teilweise neben lokalen Varianten wie blööd oder liis. Als gesamtschweizerdeutsche Wörter sind vor allem Varianten geeignet, die durch das Hochdeutsche gestützt werden. Aber auch die Verwendung eines aus dem Hochdeutschen stammenden Wortes kann zur «Allgemeinverständlichkeit» führen. Dabei ist zu beachten, dass der Kontakt mit dem Hochdeutschen heute bedeutend grösser ist als früher, man denke an die Medien, die Mobilität über die Landesgrenze hinaus oder – im Kleinen – an angeschriebene Produkte in Geschäften. Präzisierend muss man aber auch sagen, dass gewisse hochdeutsche Wörter in Zusammensetzungen oder anderem Gebrauch nicht erst seit gestern Bestandteil des schweizerdeutschen Wortschatzes sind: Von der Rollträppe, die sicher nur bei ganz wenigen Rollstäge heisst, ist der Schritt zur Träppe nicht weit, und dass Arbetslosi nicht arbeiten, liegt auch nahe … Bei der Bezeichnung von Ross als Pfärd spielt dann weniger die «Allgemeinverständlichkeit» eine Rolle als die Einschätzung von Ross als grobem Ausdruck.
Bei Umfragen unter Deutschschweizern zeigt sich seit Jahren eine ähnliche Rangliste: Die vorderen Plätze teilen sich Bern, Graubünden und Wallis, das Schlusslicht bildet das Thurgauerdeutsch. Begründet wird die Einschätzung häufig damit, dass die eher offenen Vokale des Berndeutschen als freundlich und gemütlich empfunden werden, dass die geschlossen ausgesprochenen Vokale des Thurgauerdeutschs hingegen unangenehm für das Ohr seien. Nun ist es aber so, dass das Bündnerdeutsche, das sehr geschlossene a-Laute aufweist, in der Liste weit vorne rangiert; am Klang kann es folglich nicht liegen. Diese Beobachtung wird durch eine Studie mit ausländischen Versuchspersonen gestützt: Im klanglichen Vergleich schnitt Thurgauerdeutsch bei Nichtschweizerdeutschsprechern nicht schlechter ab als Berndeutsch. Es müssen also andere Faktoren Einfluss auf das Schönheitsurteil haben, und diese sind im aussersprachlichen Bereich zu finden: in den Erfahrungen und Vorurteilen über eine Region und deren Bevölkerung. So sind Bern, Graubünden und Wallis klassische Feriendestinationen, die mit positiven Erlebnissen verknüpft werden. Diese werden in einem zweiten Schritt mit dem Dialekt in Verbindung gebracht und führen so zu einem positiven ästhetischen Urteil.
Die Sprechgeschwindigkeit der Deutschschweizer unterscheidet sich. Ob man schnell oder langsam spricht, ist nicht bloss eine individuelle Eigenschaft, sondern geht auch mit dem Dialekt einher. Eine Studie hat gezeigt, dass besonders westliche Dialektsprecher vergleichbare Wörter langsamer aussprechen als die östlichen sowie nord- und südwestlichen Sprecher. Für den Vergleich berücksichtigt wurden dabei einzig Wörter, die sich nicht durch bekannte, regelhafte Lautveränderungen unterscheiden, wie dies beispielsweise bei baselstädtisch lang Naase, Oofe, Stuube gegenüber st. gallisch kurz Nase, Ofe, Stube der Fall ist. Eine weitere Studie zeigt ein ähnliches Bild: Pro Sekunde sprechen Berner fünf Silben, Zürcher sechs. Hochgerechnet auf eine Minute macht das doch vier bis fünf Sätze aus, die die Berner weniger formulieren. Der Unterschied hängt damit zusammen, dass Berner die Vokale in die Länge ziehen und vor allem auch die letzte Silbe im Satz extensiv längen, was zu einer global langsameren Sprechgeschwindigkeit führt.
Die beiden Bezeichnungen «Mundart» und «Dialekt» werden meist synonym, das heisst gleichbedeutend, verwendet. Es spielt also keine Rolle, welche der beiden Bezeichnung man wählt. Das Wort «Dialekt» ist aus dem Griechischen entlehnt und bedeutet «Unterredung», «Redeweise». Es ist im Deutschen zum ersten Mal 1634 belegt. Gleichzeitig mit der Entlehnung wurde das Ersatzwort «Mundart» gebildet. Während im Standarddeutschen der Dialekt und die Mundart gilt, ist das Genus im Schweizerdeutschen nicht einheitlich: der oder das Dialekt, die oder das Mundart.
Auch die Bezeichnungen «Hochdeutsch», «Standarddeutsch» und «Schriftdeutsch» sind Synonyme. Mit den unterschiedlichen Bezeichnungen werden verschiedene Aspekte in den Vordergrund gestellt. Der Begriff «Standarddeutsch» betont, dass diese Sprachform des Deutschen standardisiert ist: Es gibt allgemeinverbindliche Normen, die beispielsweise in Grammatiken und Wörterbüchern festgehalten sind – und an denen man sich orientiert (F7). «Schriftdeutsch» ist eine schweizerische Bezeichnung, die die ursprüngliche Funktion der Sprachform akzentuiert: Sie wird schriftlich verwendet (F10, F11). Als «Hochdeutsch» wurden ursprünglich die Dialekte des mittleren und südlichen deutschen Sprachraums bezeichnet, und so wird das Wort heute noch fachsprachlich verwendet. Da diese Dialekte zur Basis der heutigen Schriftsprache wurden, hat sich die Bezeichnung auf die werdende Schriftsprache übertragen. Später wurde damit auch die Bedeutung «höherstehend, vorbildlich» verbunden. Neben diesen Begriffen existieren weitere Bezeichnungen für die beiden Sprachformen: Die Mundart wird auch als Puuretüsch, Chuetütsch, Chüejertütsch, Chalbertütsch, Bööstütsch, Grobtütsch und Schlächttütsch bezeichnet. Damit wird ausgedrückt, dass es sich um die Sprachform des einfachen Volkes, der Bauern, handelt respektive um eine einfache, schlichte Sprachform. Im Gegensatz dazu wird das Hochdeutsche Guettütsch und Schööntütsch genannt.