Wortgeschichten

Chruchtele, Öörli und Chnüüblätz

Illustration: Tizian Merletti

Der Fastenperiode gingen schon in alter Zeit ein paar Tage allgemeiner Ausgelassenheit voraus. So ist, wie man im Schweizerischen Idiotikon nachlesen kann, bereits aus dem Basel des 14. Jahrhunderts überliefert, dass die Fasnacht «mit allerlei Mutwillen und Kurzweil, mit unziemlicher Weise und Gebärde, mit Üppigkeit und Völlerei» einhergeht. Neben durchzechten Nächten und ungeheuerlichen Tänzen war es denn auch Brauch, der Völlerei zu frönen.

Da während der Fastenzeit traditionellerweise nicht nur Süsses, sondern vor allem auch Fleisch, Eier und Milch verboten war, wollte man einerseits alles verwerten, was die Vorratskammer noch hergab, bevor es während der Fastenzeit verdorben wäre, andererseits konnte man auf diese Weise auch noch ein letztes Mal verschiedene köstliche Speisen geniessen. Das Fett, das als Nebenprodukt beim Schlachten entstand, wurde selbstverständlich genauso verwertet wie die letzten Butterreste. So konnte man gleichzeitig noch die letzten Reserven für die 40-tägige Fastenperiode zu sich nehmen. Besonders beliebt war deswegen fettiges Essen wie Speck, Wurst und Schinken. Milch wurde zu Luggmilch bzw. Niidle verarbeitet und wurde – neben Geburtstagsfeiern oder an Mariä Himmelfahrt – insbesondere während der Fasnacht zu geröstetem Hafermehl oder Brosamen gegessen und galt als besonderer Leckerbissen. Aus diesem Grund wurde eine gemütliche Zusammenkunft zu besonderen Tagen, bei der Niidle gegessen wurde, auch Niidelnacht genannt.

Ganz besonders beliebt waren zur Fasnacht aber fettig-süssliche Gebäcke wie Chrapfe, Öörli und Chruchtele. Chrapfe sind dreieckig oder rautenförmig, manchmal auch länglich gebogen, werden in Butter gebacken und enthalten eine Füllung, die meist aus Ziger und/oder gekochten Birnen oder Äpfeln besteht. Der Name des Gebäcks geht vermutlich auf die häufig leicht gebogene Form zurück. Das althochdeutsche krapfo bedeutete in erster Linie Haken oder Kralle, konnte aber schon damals auch ein Gebäck bezeichnen, das wie ein Haken gekrümmt ist. Da der Chrapfeteig in der Regel am Rand gezackt oder gewellt ist, benutzt man ein Rollrädchen, das sogenannte Chrapferiisserli, um ihn in der gewünschten Form zuzuschneiden. Nicht extra zuschneiden muss man den Teig beim Öörli-Backen. Ein Öörli ist ein rundes, «in der Gestalt einem Ohre ähnliches Gebäck», welches dünn ausgewallt wird und in Butter gebacken und häufig mit Zucker bestreut wird. Da für die Öörli ein Eierteig verwendet wird, nennt man sie auch Eieröörli. So erfährt man zum Beispiel aus dem ursprünglich von Conrad Gessner verfassten «Vogelbuoch», dass man bereits im 16. Jahrhundert «auss den eiern küechle, eyer- oder milchörle» machte. Sehr gerne hat man die Eieröörli auch zusammen mit Luggmilch gegessen. Die Benennung Öörli für die runden, flachen Fasnachtschüechli ist vor allem in der östlichen Schweiz bis nach Zürich gebräuchlich. Eine andere Bezeichnung für ein Fasnachtschüechli ist der Chnüüblätz oder Chnöiblätz, weil man den Teig nach dem Auswallen in der Regel noch über dem Knie auseinandergezog. Zwischen das Knie und den Teig legte man entweder ein Zwäheli, ein Küchentuch oder ganz einfach den Chüechlischurz, den man ohnehin fürs Backen trug. Eine weitere Bezeichnung für das Fasnachtschüechli ist die Chruchtela. So sagt man den Chüechli nämlich im Wallis. Das Rezept für den Chruchteluteig ist nicht ganz identisch mit den traditionellen Varianten für den Chüechliteig in der übrigen Schweiz, so war nämlich Safran in der Regel fester Bestandteil des Teigs, was den Chruchtele eine bitter-herbe Note gab, die wiederum gut mit dem Zucker verschmolz, den man nach beim Auskühlen noch darüberstreute. Die Herkunft der Bezeichnung Chruchtela ist nicht bekannt, allerdings ist vorstellbar, dass das Wort auf dieselbe (indo)germanische Wurzel wie chrumm, Chringel oder auch Chrapfe zurückgeht, welche ursprünglich etwa «drehen, winden, wellen» bedeutet haben könnte und gut zur gewellten Form des Gebäcks passt. Es ist aber auch möglich, dass die Bezeichnung rein lautmalerisch ist und das krachende Geräusch bezeichnet, das beim Biss in die Chruchtela entsteht; in diesem Kontext könnte auch französisch croquant Vorbild gewesen sein, welches selbst ja ebenfalls lautmalerisch ist.

Frauen mussten und müssen übrigens nicht selten unflätige Vergleiche mit der Herstellungsart oder dem Aussehen unterschiedlicher Fastnachtsgebäcke aushalten. So heisst es in Franz Sebastian Ammanns «Klosterspiegel» in Bezug auf Eieröörli etwa: «In Klosterschatten und Nilwasser gehen die Weiber auf wie das Eierküchlein in Anken» (1841). Die Blasen, die beim Backen der Fasnachtschüechli in der heissen Butter entstehen, werden hier also mit dem Schwangerschaftsbauch der Frau verglichen. Im Wallis nennt man eine ältere, etwas gebrechliche Frau bis heute noch abwertend en aalti Chruchtela, vermutlich in Bezug auf die nicht mehr so glatte Haut. Ob bei der Entstehung solcher Vergleiche fasnächtliche Exzesse «unziemlicher Weise und Gebärde» mitgespielt haben, werden wir wohl nie erfahren. Die traditionellen Rezepte für Chrapfen, Öörli oder Chruchtele (sowie viele weiteren Fasnachtsspezialitäten) sind aber zum Glück überliefert und erfreuen sich ungebrochener Beliebtheit – auch wenn wir uns vor dem Fasten heute keine Reserven mehr zulegen müssen.

Permalink: https://www.idiotikon.ch/wortgeschichten/chruchtele-oerli-chnueblaetz

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