Auf- und abwärts: Warum ausserhalb des Deutschwallis niemand weiss, wohin embri und embrüf führen
Walliser Dialekte sind die exotischsten, da sind sich in der übrigen Deutschschweiz alle einig. Hier gibt es so altertümliche Formen wie gizogu für das in den meisten Dialekten übliche zoge, hier heisst es Hiischer statt Hüüser, dem Vögeli sagt man Vogelti. Zwar gibt es auch andernorts sprachliche Besonderheiten, aber nur im Wallis (und in den Sprachinseln im Piemont und im Tessin, die von dort aus besiedelt wurden) treten sie in dieser Häufung auf.
Fragt man andere Deutschschweizer und Deutschschweizerinnen nach einem typischen Deutschwalliser Wort, ist der Haupttreffer embri und embrüf. Walliserinnen und Walliser scheinen ständig embri zu gehen, und alle übrigen verstehen zwar, dass das eine Richtungsangabe ist, nur: welche?
Embrüf bedeutet «nach oben», wie das üf deutlich macht. Im Vorderteil des zusammengesetzten Worts steht aber in einer Bedeutung «wieder», die laut Schweizerischem Idiotikon Ende des 19. Jahrhunderts noch in den Kantonen Basel-Landschaft, Aargau, Solothurn, Unterwalden und vor allem Bern gebräuchlich war, seither aber weitgehend in Vergessenheit geraten ist. Nur in Zusammensetzungen ist sie bewahrt: So meint(e) aberuf wörtlich «wieder hinauf», und auch im schriftdeutschen abermals drückt sie die Wiederholung aus. In der geläufigeren Form embrüf ist der unbetonte Anfangsvokal abgeschwächt, der noch schwächere zweite Vokal ausgefallen und vor b zusätzlich ein m eingetreten. Das Resultat, embr-, erinnert kaum noch an aber. Noch schwerer zu erkennen ist es in der Form amüf.
Das Gegenstück zu embrüf ist embrab «nach unten», vor allem aus dem Berner Oberland überliefert. Im Wallis wird dafür meist embri verwendet, das aus aberiin entstanden ist und eigentlich «wieder einwärts» bedeutet. Im Berner Oberland wird (oder wurde) embri jedoch für «taleinwärts» gebraucht. Im Wallis hat sich die Bedeutung des Worts von «einwärts» zu «abwärts» verschoben. Warum? Gute Frage. Vielleicht wurde es ursprünglich als «einwärts im Sinne von Richtung Zentrum, Marktort» verstanden oder als «einwärts in Richtung Kirchenstandort » – Orte, die tendenziell weiter unten im Tal liegen (zum Beispiel Visp von den Vispertälern aus gesehen oder Münster mit Blickwinkel aus dem Obergoms).
Ausserhalb des Wallis werden solche Richtungsangaben mit Formen wie uecher, ufi, wui, ue und apper, ache, ahi ausgedrückt. Sie alle sind Zusammensetzungen aus uuf bzw. ab und her bzw. hin. Das Nebeneinander von Formen wie aha «ab-her» und ahi «ab-hin» innerhalb eines Dialekts zeigt, dass in der älteren Mundart wie im Standarddeutschen zwischen «herab» (zur sprechenden Person hin) und «hinab» (von der sprechenden Person weg) unterschieden wird. Die heute zunehmend dominierenden Einheitsrichtungsadverbien ufe «hinauf, herauf» und abe «hinab, herab» machen diese Unterscheidung dagegen nicht mehr.
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