Graubünden, Churwalchen, Dreibünden oder Rätien?
Der deutsche Name des östlichsten Schweizer Kantons ist Graubünden. Das war aber nicht immer so: Frühere Namen waren Churwalchen, Drei Bünde und Rätien. Daran erinnern zum Beispiel der Berggipfel Dreibündenstein ob Chur und die Rhätische Bahn, die durch den Kanton kurvt. Woher kommen diese Namen und warum trägt der Kanton heute ausgerechnet die Farbe grau im Namen, wo er doch in der Eigen- und Fremdvorstellung vorwiegend unter blauem Himmel liegt, wenn das winterliche Mittelland von grauem Nebel eingehüllt wird?
Die römische Provinz Raetia umfasste neben dem heutigen Graubünden auch den Bodenseeraum und Teile Tirols und reichte nördlich von Augsburg bis über die Donau (wo sich ihr Name kaum noch erkennbar im Landschaftsnamen Nördlinger Ries finden soll). Die namengebenden Räter lebten nur in einem kleinen Teil der Provinz. In nachantiker Zeit wurde das Gebiet des heutigen Graubünden etwa Churwalchen genannt, nach den Walchen (den Welschen, d. h. Romanen) in der Gegend von Chur. Erst die Humanisten im 16. Jahrhundert beriefen sich dann mit dem Namen Rätien wieder auf die antike Provinz, doch wurde dieser Name vermutlich nie volkstümlich (auch die Sprachbezeichnung rätoromanisch war bis ins 20. Jahrhundert unüblich; im Alltag reichte romanisch oder rumantsch).
Die drei Bünde, aus denen Graubünden entstand, waren der Gotteshaus-, der Obere und der Zehngerichtebund, benannt nach dem Bischofssitz in Chur, nach der höheren Lage bzw. nach der Anzahl der zugehörigen Gerichte. Der Name Grauer Bund erscheint erstmals 1442 als zürcherische und österreichische Fremdbezeichnung für den Obern Bund, mutmasslich ein Spottname, der aber schon 1486 als Selbstbezeichnung verwendet wurde. Laut Lexicon Istoric Retic bezieht sich grau ursprünglich auf die Filzkleidung der Bündner Oberländer, den ponn palus «haariges Tuch». Dieses Tuch wurde selbst auch zum Namen: Pompaluuser nannte man in Deutschbünden und im angrenzenden südlichen Kanton St. Gallen die Bündner Oberländer, im Mittelland auch die Bündner allgemein. Später nahm das Wort sogar die Bedeutung «Sonderling, Schlingel, Gauner» an, um dann im 19. Jahrhundert im Aargau zum Spottnamen für die Liberalen zu werden.
Doch zurück nach Graubünden: Der Graue Bund war der gewichtigste der drei Bünde (oder sein Name besonders charakteristisch?), und so nahm mit der Zeit die Gesamtheit der 1471 zum Freistaat vereinigten Dry Pünt dessen Namen an, ähnlich wie Schwyz seinen Namen der Schweiz verlieh. Auch in den bündnerromanischen und italienischen Namenformen fand eine ähnliche Namenentwicklung statt, von der Ligia Grigia u. ä. für den Grauen Bund über Grischuns, Grigioni für die, die dort leben, zu Grischun, Grigioni für den Freistaat der Drei Bünde.
Warum aber Graubünden und nicht Grauer Bund oder Graubund? Weil der Staat bis 1799 eben ein Bündnis von drei souveränen Teilen blieb. Oft ist in den Quellen die Rede von den drien Grawen Pünden. Der moderne Name Graubünden ist eigentlich eine Mischform aus dem Substantiv Bund in der Mehrzahl (genau genommen im Dativ Plural Bünden) und dem Adjektiv grau in der Einzahl (oder einfach verkürzt aus grauen), auch wenn Graubünden heute als Einzahl empfunden wird.
Zum Schluss ein paar Worte zum Gebrauch des Namens Graubünden. Erstens: Das Adjektiv zum Kantonsnamen ist Bündner (im Dialekt meist mit P- gesprochen). Nur die Kantonalbank heisst Graubündner Kantonalbank. Zweitens: Viele Unterländer sagen nicht nur im Bergell, im Oberhalbstein, im Puschlav, im Schanfigg und natürlich im Wallis (wogegen niemand etwas hat), sondern auch im Graubünden. Für die Einheimischen gibt es aber nur z Graubünda. Und drittens: Beim volkstümlichen Namen Bündnerland scheiden sich die Geister selbst in Graubünden: Manche Einheimischen lehnen ihn kategorisch ab, weil er sie zu sehr an Abenteuerland, Wunderland, Zwergenland erinnere, viele andere aber brauchen ihn selber. – Da die Idiotikon-Redaktion aber nie vorschreibt, sondern immer nur beschreibt, überlassen wir es ganz den Leserinnen und Lesern dieser Wortgeschichte, was sie wie sagen wollen!
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