Wortgeschichten

heimlifeiss

Illustration: Tizian Merletti

Heimlifeiss heisst mi Geiss, lautet im Aargau und im Luzernbiet ein Reim eines alten Kinderlieds, das in vielen Varianten seit dem Spätmittelalter bekannt ist. Das ganze Verslein geht so: Nienegnue heisst mi Chue, Heimlifeiss heisst mi Geiss, Türlistock heisst mi Bock, Rübelhoor heisst mis Schoof, Haberstrau heisst mi Frau, Rüfegrind heisst mis Chind. Das Eigenschaftswort heimlifeiss, das in der Nordostschweiz haamlifaass, im Berner Oberland und im Sensebezirk hììmlifììss, im Wallis und bei den Walsern heimli(ch)feisst und in Basel haimligfaiss lautet, ist aus heimli(ch) und feiss zusammengesetzt und bedeutet im eigentlichen Sinn «im Verborgenen fett». Laut Schweizerischem Idiotikon beschränkt sich diese Bedeutung fast ganz auf die Ziegen, «weil man ihnen die Fettheit, auch wenn sie dieselbe besitzen, weniger als anderen Tieren ansieht», und nur vereinzelt – so in Zürich – beziehe sie sich auch auf «Menschen, die fester und schwerer sind, als ihr Körperumfang vermuten lässt».

Die in allen Mundarten hauptsächlichen Bedeutungen von heimlifeiss sind übertragene. Zwaa Tunderwätter und zwaa Haamlifaassi: zämen e Hagelsquartett! heisst es in einem Spruch aus Schaffhausen. Das Idiotikon definiert hier heimlifeiss als «heimlich reich, wer seinen Reichtum nicht zeigt» und auch «verschwiegen, verschlossen von Charakter, meist in übelm Sinn, heimtückisch, verschlagen, schadenfroh, boshaft, aber auch etwa in gutem Sinn: wer im Verborgenen arbeitet». In langer Tradition formulieren die Wörterbücher des Baseldeutschen «gescheiter, reicher, schlimmer usw., als es den Anschein hat». Im Obwaldner Wörterbuch heisst es «listig, undurchschaubar». Mit diesen Bedeutungen kommt heimlichfeiss in schriftsprachlichem Gewand sogar im Duden vor, wo es als «schweizerisch» und «mundartlich für einen Besitz, ein Können verheimlichend» taxiert wird. Heute ist heimlifeiss nicht selten positiv besetzt als eine Eigenschaft eines Menschen, der auf sympathische Weise, verschmitzt und pfiffig mit etwas hinter dem Berg hält.

Auf der Suche nach Bedeutungsähnlichem werden wir bei s tick hinder den Oore haa fündig. Die Redensart sei aus der Hochsprache importiert, dachte ich zunächst, finde aber im Idiotikon, dass sie seit über zweihundert Jahren in unseren Mundarten vorkommt, etwa mit diesen Varianten: Er hät s hinder den Oore «er ist schlau» oder Die händ s scho fuuschttick hinder den Oore, «von kleinen Kindern gesagt» oder Er het s digg hinder den Oore sitze, «wird missbräuchlich von jemand gesagt, der so voller Tücke stecket, dass er sie gleichsam hinter den Ohren hervorlangen kann», wie es der Basler Johann Jakob Spreng in seinem Wörterbuch aus dem Jahr 1768 ausdrückt. Was genau hinter den Ohren sitzt – tick oder gar fuuschttick – bleibt letztlich ein Rätsel. Die im ganzen deutschen Sprachraum verbreitete Redensart geht vielleicht zurück auf das schon im Spätmittelalter bekannte «den Schalk hinter den Ohren haben». Mit einem Sprichwort aus Sachsen – «Er hat’s hinter den Ohren wie die Ziegen das Fett» – lässt sich der Kreis zu unserem Heimlifeiss heisst mi Geiss schliessen.

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Basler, Tänzer, Italiener, Benziner. Erfolgsgeschi...

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