Wortgeschichten

Hieronymus im Omnibus – zum Internationalen Übersetzertag

Illustration: Tizian Merletti

Der 30. September ist der Internationale Übersetzertag – inspiriert vom Kirchenlehrer Hieronymus, der die Bibel und weitere Schriften ins Lateinische übertrug und Ende September 420 verstarb. Er ist der Patron der Übersetzer, Gelehrten, Lehrerinnen, Schüler, Studentinnen, Korrektoren und Theologinnen.

Der Taufname Hieronymus war und ist sehr beliebt – all die Namenträger wie Jérôme, Jerome, Jeroen, Jerónimo, Girolamo/Gerolamo usw. machen dies deutlich. Das traf auch auf die Deutschschweiz des 19. Jahrhunderts zu, wo der Name in zahlreichen Varianten vorkam. Das Schweizerische Idiotikon nennt Jero für Graubünden, Roni (Roneli Röni, Rönel, Röneli) für Aargau, Appenzell, Basel, Glarus, Luzern, Schaffhausen, Schwyz, Solothurn, Unterwalden, Uri und Zug, Ronimus (Ronimüssli, Ronemissli, Ronimüssel) für Basel, Bern, Schwyz, Solothurn, St. Gallen und Thurgau, Onimus für Schaffhausen und schliesslich Muss (Mussi, Müssi, Müssel) für Aargau, Basel, Bern, Graubünden, Luzern, Schaffhausen, Schwyz, Solothurn, St. Gallen und Zürich.

Bei Hieronymus zeigt sich, was wir von vielen anderen Namen kennen: Mehrsilbige Namen werden am Wortanfang und/oder am Wortende gerne gekürzt, und auch die Laute unterliegen einer Anpassung an die Alltagssprache. So wird der Ruedolf zum Ruedi, Rüedi, Ruedel, Ruetsch, Rüetsch, Ruetschi, Rüetschi, Rueff oder aber Dolfi, Toffi. Beliebt sind Verkürzungen natürlich auch bei Taufnamen fremder Herkunft: Der Alexander wird zu Alex oder Xander, die Christine wird zu Christi oder Stina, Stinze, Tina, der Christoph zu Chrigel oder Stoff, Stöffi, Stöffel, die Elisabeth zu Els, Else, Lisa, Lise, Lisi oder Bet, Beti, Betli, die Katharina zu Kätter, Käthi oder Trin, Trine, Trini, Trinzi, der Lorenz zu Lori, Loro oder Enz, die Margaretha zu Maggi, Meta, Menga oder Gret, Grit, Dete, Didi und der Xaver zu Xavi, Xävel oder Veri – man könnte die Liste schier endlos fortsetzen.

Als im 19. Jahrhundert in Frankreich der Omnibus – übrigens ein lateinischer Dativ Plural mit der Bedeutung «für alle» – aufkam und schliesslich auch die Schweiz erreichte, tat man sich anfänglich schwer mit dem Wort. Wir kennen etliche Fremdwörter, die auf sehr kreative Weise ins Schweizerdeutsche integriert wurden: der Advokat wurde zum Afikat oder Aflikat, der Kanarienvogel zum Kanali- oder Kardinalsvogel, der Kondukteur zum Kundidör. Und der Omnibus wurde zum Onimus, Monibus oder Munibus (Baselbiet), zum Omlibus (Zürich?), zum Unibus (Ort?) – und, mit gnädiger Mithilfe von Hieronymus, zum Ronimus (Aargau, Baselbiet). Ronimus war übrigens keineswegs eine scherzhafte Bildung, sondern durchaus volkssprachlich, wie Idiotikon-Informant Benedikt Meyer (1813–1889) aus Basel bestätigte. Ausdrücklich scherzhaft gebraucht wurde hingegen der Rollibus (Zürich). Das heute übliche kurze Bus(s) oder Böss sucht man im Idiotikon übrigens vergeblich – die im Englischen erstmals 1832 bezeugte Kurzform war in der Deutschschweiz um 1900, als das Wort hätte abgehandelt werden müssen, offenbar noch nicht so richtig populär.

Unsere Mundartautoren, die ja meist durchaus gebildet waren, liebten es, in ihrer Literatur die Sprache der einfachen Leute zum Klingen zu bringen – oder sogar eine solche herbeizuphantasieren. Der Baselbieter Jonas Breitenstein witzelte in seiner «Baselfahrt» von 1860: Wie seltsam das [neu aufgekommene Fuhrwerk] auch war, so hatte es doch noch einen viel seltsameren Namen, und kein Mensch wußte, was er aus ihm machen sollte. Die Einen sagten: der neue Gast heiße «Ronimus», denn das sei auch so ein absonderlicher Heiliger gewesen; die Anderen behaupteten: nein, er heiße «Monibus»; wieso er mit dem Mond verwandt sei, wüßten sie nicht; und wieder Andere wollten wissen, er heiße «Ohni muß», weil es ja kein Muß sei, ob man mitfahren wolle oder nicht. Und der Aargauer Arnold Gysi schriftstellerte in seinen «17 erprobten humoristischen Vorträgen für gesellige Kreise jeder Art» von 1899: Was ech de sälb für en ewigi Mängi vo Ronimüs [am Bahnhof Genf] uf dei Zug gwartet het! Jo deis isch iez au nes G'räbel gsy, bis die Lüt all' mit ihre Koffere, Marmottli und ihre zämmegschnallete Chleiderbündel do drinne versorget gsy sind!

Um auf den Internationalen Übersetzertag zurückzukommen: Wie übersetzt man solche Wortspiele in eine andere Sprache? Das ist eine der grossen Herausforderungen für alle, die Literatur von einer in eine andere Sprache übertragen. An Breitenstein und Gysi hat sich jedenfalls unseres Wissens noch kein Übersetzer herangewagt ...

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