Wortgeschichten

Hurtig

Illustration: Tizian Merletti

Mani Matters Hansjakobli schnaagget tifig tifig unter das Taburettli, der Bueb mit Name Fritz rennt so schnäll, dass man ihn gar nicht sieht, beim Boxmatch geits nid gschwing, denn beide Boxer stehen noch im Ring, und in einem anderen Lied singt Matter: Doch muess i ietze hurti höre, s Lob vo dr Fuulheit hie z beschwöre.

Tifig, schnäll, gschwing, hurti – nur eine kleine Auswahl von Ausdrücken, die man für hochdeutsch schnell verwenden kann. Weitere Beispiele gefällig? Das Schweizerische Idiotikon verzeichnet auch flingg, glechig, gleitig, schidig, schirig, raass, rasch, röösch, weidli oder gar hässig. Diese Wörter sind nicht in der ganzen Deutschschweiz gleichermassen verbreitet, und es können durchaus auch Bedeutungsunterschiede oder Verwendungsrestriktionen vorliegen. Schliesslich ist ja schnell nicht gleich schnell: Schnell bedeutet z.B. in einem raschen Tempo (Der Rennfaarer isch schnäll underwägs) oder innert kurzer Zeit (Er het s Rätsel schnäll glöst) oder auch ‘bald’ (Chumm schnäll!).

In dieser Wortgeschichte soll es aber vor allem um eines dieser schnellen Wörter gehen, nämlich um hurtig resp. hurti. Dieses Adjektiv resp. Adverb wird häufig als berndeutsches Wort taxiert, obwohl es (ursprünglich) in der Deutschschweiz recht weit verbreitet ist (war): So verzeichnet der Sprachatlas der deutschen Schweiz mit seinen Sprachdaten aus den 50er-/60er-Jahren hurtig für die Kantone Freiburg, Bern, Solothurn, Wallis, Zürich und Graubünden. Im Sprachatlas ist aber auch zu lesen, dass zur Zeit der Datenerhebung vor allem Zürcher Befragte das Wort als «alt» bezeichneten.

Das Wort hurtig hat eine interessante Geschichte. Mit der mittelalterlichen Ritterkultur, die in der Provence (Frankreich) entstand und von Adligen in ganz Europa kopiert wurde, drangen viele altfranzösische Wörter in die Sprache des Rittertums ein, so z. B. die heutigen Ausdrücke Abenteuer, Turnier, Lanze, Preis, Tanz, Samt ins Deutsche. Hurtig wurde im Kontext der Ritterturniere gebraucht: Spätmittelhochdeutsch hurtec, verkürzt aus mittelhochdeutsch hurteclich, bedeutet nämlich ursprünglich ‘im Hinblick auf einen Stoss, einen Anprall heftig losrennend’, wie das der Fall ist, wenn man sich beispielsweise beim Lanzenstechen aufeinander zubewegt. Aber nicht hurtig selbst, sondern das zugrunde liegende Substantiv hurt, hurte ‘Stoss, Anprall, stossendes Losrennen’ wurde aus dem Altfranzösischen entlehnt. Ein solches Substantiv existiert immer noch im modernen Französisch; bekannter ist wohl aber das dazugehörige Verb heurter ‘stossen, verletzen’ – oder die englische Entsprechung to hurt ‘verletzen’. Das deutsche Adjektiv hurtig seinerseits hat sich auch weiterverbreiten können: Das Dänische und das Norwegische haben das Wort mit der modernen Bedeutung ‘schnell’ entlehnt: Man denke beispielsweise an die Hurtigruten, die traditionelle norwegische Postschifflinie, die die Orte der Westküste – schnell – verbindet.

Das Wort hurtig hat sich im deutschen Wortschatz bis heute gehalten, wenn auch der hochdeutsche Gebrauch vom Duden als «veraltend» bezeichnet wird – nicht nur die Zürcherinnen und Zürchern nahmen resp. nehmen den Ausdruck also so wahr. Den Zenit, was das Vorkommen in deutschen Texten aus den Jahren 1600–1999 betrifft, hat das Wort um 1710 überschritten. Seither zeigt die Wortverlaufskurve nach unten.

Die heutige Bedeutung ‘schnell’ hat sich erst mit der Zeit herausgebildet: Es lässt sich eine Bedeutungsveränderung nachzeichnen, die von ‘tapfer, zu Angriff oder Abwehr gerüstet’ hin zu ‘geistig gewandt im Erfinden und Reden’ zu ‘schnell’ geht. Die zu beobachtende Bedeutungsverschiebung vom Sinnbereich der Tatkraft in denjenigen der Schnelligkeit lässt sich nicht nur bei hurtig feststellen, sondern auch bei weidli und schnäll.

Das Schweizerische Idiotikon gibt übrigens im zweiten Band, 1891 gedruckt, neben ‘schnell, bald’ zwei weitere Bedeutungen für hurtig an: Einerseits ‘munter, gesund’, so gebraucht im Gruss Sit gäng hurtig!, den man vorwiegend im Berner Oberland und in Schwyz jemandem zum Abschied gab, andererseits ‘hübsch, stattlich’, so in einem Aargauer Volkslied: Es chunnt en hurtige Wäbergsell, e hübschi Jungi möcht er gern. Allerdings ist davon auszugehen, dass diese beiden Bedeutungen heutzutage wohl weithin abgegangen sind.

Und wie schnell ist nun hurtig? Schneller als tifig oder gschwind? Sprecherinnen und Sprecher, die mehrere Ausdrücke gleichzeitig verwenden, haben vielleicht eine Antwort auf diese Frage. Auch Energie Wasser Bern hat eine Meinung: Seine mit berndeutschen Ausdrücken bezeichneten Internetabos suggerieren zumindest aufgrund der Bandbreite, dass hurti (Angebot in der Stadt) und gschwing (Angebot in der Agglomeration) etwa gleich schnell sind.

 

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