Wortgeschichten

Timmer, Bränte, Geifetsch – die vielen Namen für den Nebel

Illustration: Tizian Merletti

Besonders in den Herbstmonaten beschert uns der Nebel häufig eine schlechte Sicht. Wenn der Wasserdampf, der an winzigen Staubpartikeln haftet, an der kalten Luft kondensiert, werden die Wassertröpfchen für das menschliche Auge sichtbar, und durch das gleichmässig gestreute Licht erscheint er für uns wie weisse bis hellgraue Schwaden.

Die gebräuchlichste Bezeichnung für dieses herbstliche Wetterphänomen ist heute auch im Schweizerdeutschen das Wort Näbel, Näfel o. ä. Es findet sich schon in den ältesten Quellen des Deutschen als nebul und hatte schon damals die Bedeutung «Nebel». Im Schweizerdeutschen gibt es aber noch eine ganze Reihe weiterer Wörter, die eine Art Nebel bezeichnen können und entweder regionalspezifisch oder aber abhängig von der genauen Beschaffenheit des Nebels sind.

Im Glarnerland, in Graubünden sowie im Sarganserland nennt man den Nebel auch Bränt(e) (bzw. Brint(e), Brente). Grundsätzlich kann damit jegliche Art von Nebel gemeint sein; laut Schweizerischem Idiotikon benennt Bränt(e) aber insbesondere einen dichten, feuchten Herbst- oder Winternebel, der sich ans Terrain anschmiegt. Das Wort kann auch im Sinne von «Rauchwolke» verwendet werden, und wahrscheinlich war dies sogar der Ausgangspunkt für die Bedeutung «Nebel»: Bränt(e) dürfte nämlich vom Wort Brand abgeleitet sein und ursprünglich die durch den Brand verursachte Rauchwolke bezeichnet haben. Das Wort Brand selbst kann in der Urschweiz auch verwendet werden, wenn sich der Himmel beim Aufziehen der Wolken verdunkelt (auch hier vermutlich in Analogie zur Rauchwolke) oder wenn durch die Sonne beschienene rötliche Wolken hinter den schwarzen Gewitterwolken aufsteigen (dieses Wetterphänomen erinnert selbstredend direkt an eine Flamme).

Im deutschsprachigen Wallis kann man das Wort Geifetsch zu Gehör bekommen. Heute bezeichnet es etwas allgemeiner den Morgennebel, ursprünglich war damit aber insbesondere der kalte Nebel, der Frostnebel, gemeint. Geifetsch ist abgeleitet vom Verb gifru «zart durch den Nebel schneien». Damit verwandte Wörter sind u. a. aus den Bündner Walserorten bekannt: So benutzt man dort das Wort gifle oder schgiferle, wenn es genauso viel schneit, dass sich eine dünne Schneedecke bildet, oder Giifter(t) bzw. Schgiifer für den schwachen Schneefall oder die dünne Schneedecke. Die Endung ‑etsch in Geifetsch erscheint auf den ersten Blick etwas nebulös, bei näherer Betrachtung wird aber klar, dass es sich um eine spezifisch wal(li)serische Endung handelt, die aus dem Frankoprovenzalischen entlehnt wurde und auf lateinisch ‑aceu zurückgeht (heute noch geläufig sind z. B. Fületsch «Faulpelz» oder lametschu «lahmen, langsam gehen»).

Von tuse, tusem, tusam oder tausam spricht (oder sprach) man weithin in der Deutschschweiz, wenn es dunstig, trüb, leicht bedeckt ist. Der Tusem ist dementsprechend der Dunst, der leichte Nebenschleier – ein Wort, das schon das mittelalterliche Deutsch kannte. Ausgehend von dieser trüben, dunstigen Beschaffenheit der Luft ist wohl auch die zweite Bedeutung schwül, tüppig entstanden, die man da und dort kennt.

In der westlichen Deutschschweiz, aber auch im Bündnerland nennt man das nur leichte Überzogensein des Himmels, den feinen Nebel, die kleinen Wolkenstreifen oder Federwolken die Hilwi, Hilbi, Hülbi oder Hilmi. Das Wort bedeutete schon im Mittelhochdeutschen «feiner Nebel, Wolke». Die weitere Herkunft des Wortes ist nicht abschliessend geklärt, aber eine Verbindung mit dem Verb hehlen «verbergen, verheimlichen, decken» (davon abgeleitet sind u. a. die Wörter Hehler, unverhohlen oder Hehl wie in kein Hehl aus etwas machen) ist nicht auszuschliessen. Wenn man von einer solchen Grundbedeutung ausgeht, ist auch die Bedeutung «Obdach gegen den Wind» erklärt, unter das man sich stellt, wenn es gewittert. Entsprechend kann hilw, hilb, helw, heel oder hilwig, hilbig nicht nur «bedeckt, umwölkt, dunstig» sondern auch «windstill, mild, warm» bedeuten. Und in der Folge bedeutet es hilmet oder hilbet nicht nur, dass sich der Himmel dünn bewölkt oder Nebel aufzieht, sondern auch, dass das Wetter wärmer, milder wird.

In den Mundarten der Nord- und Zentralschweiz sowie in der Region Zürich ist Timmer(e) oder Timber(e) ein weiteres Wort für leichten Nebel, Dunst oder dünnes Gewölk. Das Wort ist zum Adjektiv timmer(ig), timber(ig) gebildet, welches «dunstig, neblig, bewölkt» bedeutet und als timber schon zu althochdeutscher Zeit bezeugt ist, zu jener Zeit allerdings noch in der Bedeutung «dunkel, düster». Eine Parallele dazu findet sich im Englischen dim «schwach leuchtend, dunkel, düster», wovon das Verb to dim «dunkler werden» abgeleitet ist, welches seinerseits als Lehnwort zurück ins Deutsche gefunden hat, seit man das Licht nicht mehr nur ein- oder ausschalten, sondern eben auch graduell dimmen kann. Auch timmer(ig), timber(ig) kann da und dort «schwül, drückend warm» bedeuten, die Bedeutungsentwicklung dürfte dabei ähnlich wie bei Tusem verlaufen sein.

Abschliessend können wir festhalten, dass «Nebelwörter» nicht nur den Nebel als solchen, sondern auch Wolken und dergleichen beschreiben können, und dass sie nicht nur für eine kühle Witterung stehen, sondern ganz im Gegenteil auch die Wärme, die Schwüle zum Ausdruck bringen können. Es gibt im Schweizerdeutschen übrigens so viele Wörter für den Nebel oder damit verwandte Wettererscheinungen, dass sie hier gar nicht alle Platz haben. Über den Ghei, den Tuft, das Ghick, das Gniff oder den Wässel sprechen wir dann vielleicht ein anderes Mal ...

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