Jetzt zieht es wieder durch die Lande: das Chrischtchindli oder Wienechtschindli, wie es in den reformierten Teilen der westlichen Deutschschweiz aus religionspuristischen Gründen genannt wird. Oder ist es, wie uns Weihnachtsbeleuchtung und Werbung glauben machen wollen, allenfalls doch eher Santa Claus? Will man sich über die Identität des Gabenbringers in der Schweiz informieren, lohnt es sich, einen Blick ins Schweizerische Idiotikon – das nic...
Die Idiotikon-Redaktion wird von Zeit zu Zeit angefragt, woher die scherzhafte Bezeichnung Dibidäbi für den Appenzeller stamme. Das Wort fehlt in unserem Wörterbuch, doch im Nachtragsmaterial haben wir eine erste Anfrage von 1939, in der es heisst, dass das Wort im St. Gallischen üblich sei. Leider hat sich die Antwort nicht erhalten. Spätere Belege kommen auch aus den Kantonen Zürich und Bern. Eine traditionelle Worterklärung, die immer wieder a...
Wer hätte gedacht, dass auch Tiere reformiert, katholisch, natur- und areligiös sein können? Die Rede ist vom Marienkäfer oder Siebenpunkt. Da die Marienverehrung ganz der katholischen Konfession zugehört, wird das Wort Maria oder Muttergottes von den Reformierten gemieden. Stattdessen wird im Bestimmungswort, also im ersten Teil des Wortes, der Bezug auf Gott, Jesus, den Herrn und den Himmel genommen: Liebgott- ist im Südwestaargau und in Graubü...
Die Sommerferien sind vorbei, doch wer zum Beispiel im Tessin in den Ferien war, erinnert sich sicher, wie bei jedem Schritt die Eidechslein fortgehuscht sind. Das Schweizerdeutsche kennt für dieses Tier zahlreiche Namen: Eidächsli (Basel, Zürich), Heidechsli (Bern, Innerschweiz, Ostschweiz), Eidöchsli und Eidochs (Bern, Solothurn, Luzern, Aargau), Heidöchsli und Heidochs (Freiburg, Berner Oberland, Uri), Egochs (Glarus, Linthebene), Hegöchsli un...
Nun fangen sie wieder an, die Hundstage! Es sind nicht die hechelnden Hunde, die den kommenden Wochen den Namen gegeben haben, sondern das Sternbild des Grossen Hundes. In einem Zürcher Lustspiel von 1550 über den Philosophen Diogenes heisst es, „das er nitt der hunden einer syge, die uff erden sind, sonder der hund am himel, von dem die hundstag genembt werden". In Aarau war man 1758 so vernünftig, dass man den Schulkindern „in den Hundstagen, s...
Diese Woche findet in Zürich das Zurich Pride Festival statt – ihr sei diese Wortgeschichte gewidmet!Eines der wenigen Wörter im Idiotikon, die Homosexualität zum Thema haben, ist «florenzen». Es war im 16. Jahrhundert mit der Bedeutung «gleichgeschlechtlich verkehren» geläufig und bedeutet wörtlich «Sex wie in Florenz haben». Florenz war das Zentrum der Renaissance und galt damals offenbar zugleich als Zentrum schwulen Verhaltens. Der Wortartike...
Von Deubelbeiss über Haudenschild bis Schlaginhaufen: Es gibt nicht nur Familiennamen wie Roth und Müller, sondern auch solche, die ganze Sätzlein bilden. Diese sog. Satznamen bestehen aus einem Verbstamm (1. Person Singular? Befehlsform?) und in der Regel einem Substantiv im Akkusativ oder einem Adverb; dazwischen kann ein (oft verschliffener) bestimmter Artikel stehen. Viele dieser Namen waren ursprünglich wohl spöttisch gemeint, etwa Hablützel...
«Lozäärn hed e rüüdig schööni Fasnacht!» Das kann nur ein Luzerner, eine Luzernerin sagen, denn «rüüdig» für «sehr» ist ein Kennwort für das Luzerndeutsche. Dieses Verstärkungswort hat einen kometenhaften Aufstieg hinter sich. Noch vor gar nicht langer Zeit hiess «rüüdig» etwas ganz anderes, nämlich «räudig, von Krätzmilben befallen, hautkrank»; der vor hundert Jahren erschienene Idiotikon-Wortartikel kennt die heutige Bedeutung noch gar nicht. E...
Das Schweizerdeutsche kennt einige Wörter, die auf eine früher hierzulande gesprochene, aber mittlerweile ausgestorbene Sprache zurückgehen. Von der keltischen «Bänne» war in unserer Rubrik schon von längerer Zeit die Rede. Ein anderes solches Wort ist die Gemse. Alle germanischen und alle romanischen Dialekte und Sprachen, die im Alpen- oder im Pyrenäenraum gesprochen werden, kennen es – und damit auch die vier Landessprachen der Schweiz. So hab...
Ein wunderschönes und zugleich geheimnisvolles Berner Wort ist der «Runzival». «Im Runzival sy» oder «i Runzival choo» meint «in der Klemme, in arger Verlegenheit, in (ökonomischen, sozialen, moralischen) Schwierigkeiten sein» bzw. in solche kommen. Wer als Literatur- oder Musikkenner einen fernen Anklang an den Parzival heraushört, liegt gar nicht so falsch: Auch der Runzival hat mit altfranzösischer und mittelhochdeutscher Literatur zu tun, näm...
Die Schneeverhältnisse verlocken noch immer zum Wintersport – deshalb im Folgenden etwas zur Ski- und Langlaufsprache! Deren Basiswortschatz ist norwegisch, kein Wunder, wenn man bedenkt, dass wir das Skifahren aus Norwegen übernommen haben. «Ski» ist norwegisch für «Scheit» bzw. dann auch für «Schneeschuh» (eigentlich ein flaches Scheit, das man sich an die Füsse schnallt, um sich besser auf dem Schnee fortbewegen zu können). Die Schweden schrei...
Der Winter ist die Zeit, in der man den «Chuenagel» (oder «Chunagel», «Unagel», «Unigler», «Hornagel», «Hurnagel», «Hurnigel») haben kann: den stechenden Schmerz in den Fingerspitzen, den man fühlt, wenn man bei eiskaltem Wetter in die warme Stube tritt.Im hintern Teil des Wortes steckt vermutlich ein Wort für «spitzig», man vergleiche etwa «Agle» oder «Agne» (Hanf- oder Flachssplitter, Spelze, Tannennadel), «Ägerschte» (Elster, eigentlich «die m...
Vom letztwöchigen «Gschmöis» kommen wir nun zur «Gänggeliwaar» (oder «Ganggeli-», «Ganggerli-», «Gänggerli-», «Gäggeli-», «Gääggeliwaar» bzw. «-züüg»), was Kleinkram, Krimskrams, wertloses oder unnötiges Zeug, billiger Schmuck bedeutet. Nicht selten hört oder liest man, das Wort gehe auf französisch «quincaille» = Haus- und Küchengeräte, Eisenwaren zurückt. Dem ist aber nicht so. Das Schweizerdeutsche kennt eine grosse Wortfamilie mit Begriffen w...
Den «Pfnüsel», hochdeutsch ,Schnupfen', kennt man in der Nord- und Nordostschweiz, seine Verwandten «Pflüsel» und «Gflüsel» im Solothurnischen sowie «Chnüsel» in der Innerschweiz. Es gibt in- und ausserhalb der Schweiz viele weitere Wörter, die ganz ähnlich klingen und ganz Ähnliches bedeuten, z. B. «pfnuuse» mit der Bedeutung ,hörbar atmen' in der Nordostschweiz, «pfnausen» ,keuchen' im österreichischen Kärnten, «fnysa» bzw. «fnyse» ,schnauben' ...
Ein altes Dessert, Zvieri oder Adventsgebäck sind die Triätschnitten: Altbackene Zopf- oder Einbackscheiben werden in einen dicken Zuckersirup oder in Eiweiss getaucht, dann mit Triätpulver (Nelken, Muskat, Sandelholz, Zimt, Macis, Anis oder Ingwer) und Puderzucker bestreut und schliesslich mit einer Weinsauce (Rotwein mit etwas Zitronenzesten, Zimt, Nelken und Zucker) übergossen.Doch was ist eigentlich «Triät», das auch in den Varianten «Träse(t...
Heute kommen wir zu einigen italienischen Lehnwörtern im Schweizerdeutschen. Wir können hier zwei Gruppen unterscheiden: Jüngere, die über Gastarbeiter in die Schweiz gekommen sind, und ältere, die auf Handelsbeziehungen mit der Lombardei verweisen.Zur ersten Gruppen gehört der Abschiedsgruss (oder das Begrüssungswort) «tschau». Es geht auf eine Dialektvariante von italienisch «schiavo», Sklave, zurück und ist eigentlich eine Verkürzung der Wendu...
Die Facebook-Kollegen vom Dicziunari Rumantsch Grischun, dem rätoromanischen Pendant des Idiotikons, haben kürzlich eine Serie mit deutschen Lehnwörtern im Bündnerromanischen präsentiert. Die folgende Zusammenstellung bietet nun eine kleine Auswahl an Wörtern, die im deutschsprachigen Bündner Rheintal, in den Bündner Walserdialekten sowie im Sarganserland und im Werdenberg vorkommen und aus dem Romanischen entlehnt sind (bei Wörtern wie «Spiina» ...
Manche romanische Lehnwörter sind im Schweizerdeutschen so verbreitet und so alt, dass man sie nicht aus den romanischen Einzelsprachen herleiten kann, sondern auf eine diesen Sprachen gemeinsame Grundlage zurückführen muss. Die «Laui» oder «Lau[w]ene» oder «Laubene» (Lawine) geht auf alpinromanisch «lavina» zurück, worin seinerseits lateinisch «lābi», gleiten, steckt. Der «Föhn» (warmer, oft stürmischer Fallwind, Südwind; seit rund hundert Jahre...
«Hafechääs» ist ein Wort, das wir heute in der Bedeutung «Blödsinn, Quatsch, Mist» gebrauchen. Die ursprüngliche Bedeutung kennen wir aus Quellen des 16. bis 19. Jahrhunderts. So erklärte beispielsweise der Zürcher Lexikograph Josua Maaler in seinem Wörterbuch «Die Teütsch spraach» von 1561 den «hafenkäß» mit «alter fauler käß. So man stücklin von altem käß in ein hafen zuosamen legt, und weyn darüber schütt, und also laßt graaten und in einander...
Zwei schöne Ausdrücke, die in unserer kleinen Schimpfserie nicht fehlen dürfen, sind «Sirach» und «sirache». Die beiden Wörter gehen auf das biblische bzw. apokryphe Buch Jesus Sirach zurück, in dem mehrfach zur Sanftmut gemahnt und vor Streit gewarnt wird. Offenbar wurden die Weisheiten im Buch Jesus Sirach und vor allem die Warnung vor Streit so häufig gepredigt, dass sich der Name Sirach verselbständigt hat und seither stellvertretend für Zank...